Sozialphobie – Die Angst, bemerkt zu werden
Sozialphobie beschreibt die übermäßige Angst, von anderen als merkwürdig, peinlich oder lächerlich empfunden zu werden. Ausgelöst werden kann diese Angst in verschiedenen alltäglichen Situationen, wie z.B. Reden oder Essen in der Öffentlichkeit.

Wie eingefroren
Ein Beispiel aus der Schulwelt
Es fängt damit an, dass der Lehrer alle auffordert, ein Teil des Textes vorzulesen. Sofort spürst du dieses unwohle Gefühl, eine lauernde Gefahr. Du ignorierst, was die Mitschüler vorlesen und konzentrierst dich nur auf deinen eigenen Teil. Du musst ihn richtig vorlesen. Keine Fehler, sonst korrigiert dich der Lehrer vor allen. Das darf nicht passieren! Du liest ihn ein, zwei, zehn Mal und achtest auf jedes Detail. Natürlich verlierst du nicht die Übersicht, wie viele Leute noch vor dir vorlesen müssen. Es werden immer weniger. Alles um dich herum fühlt sich taub an. Alles ist egal, nur dein Textteil ist wichtig. Deine Hände zittern. Zitterst du schon die ganze Zeit? Du musst damit aufhören! Du kannst so nicht vorlesen! Die werden dich für verrückt halten! Die denken, du kannst nicht lesen! Deine Gedanken überschlagen sich, es ist unmöglich, sich auf den Text zu konzentrieren. Es sind nur noch wenige Schüler vor dir dran. Du liest den Teil erneut, aber Worte im Text ergeben keinen Sinn mehr. Du musst dich konzentrieren! Dein Herz beginnt zu rasen. Du spürst deinen Herzschlag durch deinen ganzen Körper. Hör damit auf! Konzentriere dich! Das Atmen wird immer schwerer. Es ist doch nur ein Text! Nur noch eine Person vor dir. Du schaffst das. Du musst das schaffen! UND… nichts. Du bekommst kein Wort raus. Du bist wie eingefroren. Tränen sammeln sich in deinen Augen. Spätestens jetzt bemerkt die ganze Klasse, dass es dir nicht gut geht, aber werden sie etwas tun? Nein. Der Lehrer überspringt dich und macht weiter mit dem Unterricht. Mit etwas Glück hast du Freunde oder Klassenkameraden, die fragen, ob alles gut ist oder dich in den Arm nehmen, aber mehr nicht. Egal, wie oft es passiert. Deine Angst wird totgeschwiegen.

Begriffsbestimmung
Laut dem Institut für Verhaltenstherapie-Ausbildungen Hamburg (IVAH) leiden 7-16% aller Menschen in ihrem Leben mindestens einmal an einer Sozialphobie, bei den meisten startet es in der Jugend. Sie früh zu erkennen und zu stoppen, ist extrem wichtig für die Betroffenen, um ihnen dauerhaftes Leiden zu ersparen. Sozialphobien beinträchtigen das Leben massiv und zwingen die Menschen dazu, sich mehr und mehr zurückzuziehen. Soziale Beziehungen werden vernachlässigt und jeglicher Kontakt wird nach und nach vermieden. Die Störung chronifiziert sich. Sozialphobie ist eine regelmäßig, meist bei Jugendlichen, auftretende psychische Erkrankung, welche so gravierend ist, dass sie Panik vor einem der menschlichen Grundbedürfnissen auslöst. Dennoch werden weder Eltern noch Lehrer auf sie vorbereitet. Insbesondere Lehrer müssen sich selbstständig fortbilden, wenn sie ihre Schüler beschützen wollen. Doch nur den wenigsten gelingt dies. Zeitmangel, Unterschätzung und vor allem Unwissenheit sind die Faktoren, welche viele Leute im Schulsystem davon abhalten, sich mit dieser Krankheit zu beschäftigen.

Meine Erfahrung
Ich selber leide an einer Sozialphobie. Die hier erzählte Situation ist mir selber in der achten Klasse passiert und sie war die erste Erfahrung, die ich mit dieser psychischen Störung machte. Es gab zahllose Momente, in denen ich gezwungen wurde, vor der Klasse zu sprechen. Auch mit Tränen in den Augen, zitternd am ganzen Körper, mit solch einem starken Stottern, dass ich kaum sprechen konnte. Ich bekam schlechte Schulnoten, ging meinen Hobbys nicht mehr nach und noch heute, knapp 5 Jahre später, kann ich nicht mehr aufhören zu zittern, weil sich mein Körper an diesen Panikzustand gewöhnen musste. Erst 2022 ging ich in Behandlung und 2023 bekam ich meine offizielle Diagnose. Seitdem wurde meine Angststörung chronisch und ich bin auf Anti-Depressiva angewiesen. Hätte einer meiner Lehrer damals in der achten Klasse das benötigte Wissen über Sozialphobien gehabt und mir dann schon eine psychologische Behandlung empfohlen, wäre es nicht so weit gekommen.
