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Wo will ich hin? Wer will ich sein? Und wieviel Zeit wird mir noch bleiben?

Besonders in der Jugend ist der Wunsch nach Zugehörigkeit und danach, seinen Platz in der Welt und sich selbst zu finden, groß. Die Vielzahl an Möglichkeiten ließ mich oft glauben, dass es nahezu unmöglich sei, mich selbst zu finden. Häufig plagte mich das Gefühl, nicht genug zu erleben oder etwas zu verpassen.

Subkultur bedeutet für mich, ein Gefühl der Zugehörigkeit und Gemeinschaft zu erleben. Besonders als Mensch mit sozialen Ängsten fiel es mir leichter, neue Leute kennenzulernen, wenn gemeinsame Interessen vorhanden waren – in meinem Fall besonders die Musik. Mit 16 befand ich mich in einem Freundeskreis, der sich mit mehreren Subkulturen identifizierte, wobei der Punk im Vordergrund stand. Ich verbrachte viel Zeit in Proberäumen, Skateparks und links-alternativen Räumen wie dem Druckluft in Oberhausen oder dem AZ in Mülheim. Dort begegnete ich zum ersten Mal politischen Themen, die mein Interesse weckten und mich schließlich auch politisierten.

Subkultur gab mir Halt, indem ich Gleichgesinnte fand. Sie war für mich nicht nur ein Ort des Austauschs, sondern auch ein Raum, in dem ich mich (zumindest ein bisschen) selbst finden konnte.

Für diesen Artikel habe ich Menschen aus meinem persönlichen Umfeld befragt, um herauszufinden, welche Rolle subkulturelle Bewegungen bei ihrer Suche nach sich selbst spielten. Beim Lesen der Antworten zeigt sich, dass sich die Erfahrungen größtenteils überschneiden. Am wichtigsten ist jedoch, dass keine der befragten Personen es bereut oder missen möchte, Teil einer Subkultur gewesen zu sein, oder sich innerhalb von Subkulturen bewegt zu haben. Im Gegenteil: Sie sind sich einig, dass es ihr Leben bereichert hat und dass sie ohne diesen Teil ihres Lebens heute nicht die Menschen wären, die sie sind.

Bildet Banden!

Gianni – 27, Berlin

Karma – 28, Mülheim

Lisa – 33, Duisburg

Emily – 24, Duisburg

Martin – 34, Essen

Was bedeutet Subkultur für dich und was schätzt du daran?

Gianni: Alle Kulturen fern des Mainstreams. Ich schätze den Zusammenhalt allgemein, generell erlebe ich gemeinsame Nischen bezogene Interessen sehr verbindend und erfüllend.

Karma: Für mich ist Subkultur eine Form von Kultur, die innerhalb ihres eigenen Spektrums verschiedene künstlerische Ausdrucksformen wie Musik, Mode, Fotografie und Poesie verfolgt. Subkulturen haben oft gemeinsame Leitlinien und Grundideen, sowie eine ethisch-moralische Grundhaltung, die essenziell ist. Es geht um ein Lebensgefühl, das ausgedrückt werden möchte, und um Begegnungen mit Gleichgesinnten, die sich austauschen und sich gegenseitig unterstützen, um ihre Subkultur kulturell zu bereichern. Was ich an Subkultur schätze, sind die zahlreichen Ausdrucksformen, Begegnungen und einen Safespace zu haben.

Lisa: Ich schätze an Subkultur, dass sie besonders jungen Menschen einen Raum gibt, sich auszuprobieren und zugehörig fühlen lässt.

Emily: Subkultur bedeutet für mich einen Ort zu haben, an dem ich mich wohlfühle. Ein Zusammenschluss von nicht gesellschaftlich vorgegebenen Gemeinschaftsaktivitäten.

Martin: Subkultur ist für mich ein Gegenentwurf zum Mainstream. Und damit eben auch eine Möglichkeit, sich über popkulturelle Vorgaben und Erwartungen hinwegzusetzen, um seine eigene Identität finden zu können.

Wie und in welchem Alter hast du deine ersten Kontakte zur Subkultur geknüpft?

Gianni: Vermutlich über das Internet. Da war ich etwa 14 Jahre alt.

Karma: Mit 14 durch Musik und Freunde.

Lisa:  Schätzungsweise mit 11 Jahren, als ich auf der weiterführenden Schule zum ersten Mal ein blass geschminktes und schwarz gekleidetes Mädchen sah. Durch Musik mit ca. 12 Jahren und den ersten aktiven Kontakt mit etwa 13 Jahren durch ältere Freunde.

Emily: Mit 14.

Martin: Ich hatte das große Glück, dass mein Bruder sich selbst als Punk begriffen hat und ich deshalb schon früh Kontakt sowohl zu Musik als auch zu Teilnehmern dieser Szene hatte. Irgendwann kamen dann auch noch elektronische Tanzmusik und weitere linke Gegenentwürfe dazu, die bis heute stark mein Weltbild und meinen Wertekompass geprägt haben.

Fühlst du dich einer Subkultur zugehörig? Wenn ja, welcher?

Gianni: Schwierig, da ich mich schon immer verschiedenen Subkulturen gleichzeitig zugehörig gefühlt habe/fühle. Von Emo, Gothic, Punk bis Grunge über queere Subkulturen war viel dabei.

Karma: Momentan keiner so richtig. Zwischen 14 bis 19 war es Hardcorepunk/Metal/Grunge.

Lisa: Ich fühlte mich der Gothic-Szene zugehörig.

Emily: Fußball, Hiphop und Graffiti.

Martin: Nein, keiner bestimmten. Das liegt zum Teil daran, dass meine Persönlichkeit je älter ich geworden bin, aufgrund meines Erfahrungsschatzes facettenreicher geworden ist und somit auch mein soziales Umfeld und mein kultureller Genuss.

War es dir als Jugendliche/r wichtig Teil einer Subkultur zu sein? Warum?

Gianni: Definitiv, ich habe mich nie wirklich zugehörig gefühlt. Irgendwann war es mir selbst wichtig, mich abzugrenzen und daraus Selbstbewusstsein zu schöpfen.

Karma: Mir war es nicht wirklich wichtig zu sagen, ich gehöre zu diesen oder zu denen. Trotzdem habe ich mich einige Jahre innerhalb der Hardcorepunk-Szene viel auf Konzerten herumgetrieben. Der Musik wegen und um meinen negativen Gefühlen ein Ventil zu bieten, das nicht destruktiv war.

Lisa: Ja, es war mir wichtig. Nicht primär aus dem Grund, generell einer Subkultur anzugehören, um sich von anderen abzuheben, sondern weil ich Menschen mit gleichen oder ähnlichen Interessen, Werten, Musikgeschmack, Kleidungsstil, etc. kennengelernt habe. Die Subkultur war für mich ein sicherer Ort, an dem ich akzeptiert wurde und mich entfalten konnte, ohne verurteilt zu werden.

Emily: Für mich war Subkultur ein Zufluchtsort in meiner Jugend. Dort konnte ich dem Frust dieser Gesellschaft, dem Leistungsdruck und der Pflicht der Anpassung entkommen. Es gab mir die Möglichkeit, mich durch Kleidung und Musik ausdrücken.

Martin: Es war mir schon irgendwie wichtig, mich abzugrenzen, was, glaube ich, den meisten Heranwachsenden so geht. Natürlich muss man ehrlicherweise zugestehen, dass man am Ende des Tages auch nur eine andere Uniform als der Großteil der Gesellschaft trägt – aber dennoch eine Uniform.

Wie hat deine Familie darauf reagiert?

Gianni: Weitestgehend positiv und unterstützend.

Karma: Neutral und gelegentlich empört.

Lisa: Eher negativ, da die Gothic-Szene seit jeher mit vielen Vorurteilen belastet ist (z.B. Satanismus: Die wenigsten Menschen innerhalb der Gothic-Szene glauben an Satan; die meisten vertreten eine atheistische oder agnostische Weltanschauung.) Zudem ist die Kleidung in der Regel sehr auffällig ist und weicht von der Norm ab. Manche Familienmitglieder konnten diese Vorurteile schnell ablegen, manche konnten oder wollten dies nicht.

Martin: Glücklicherweise hatte mein älterer Bruder die Kämpfe im Elternhaus bereits ausgefochten, weshalb bei meinen Experimenten etwas mehr Nachsicht walten gelassen wurde.

Hast du innerhalb deiner Subkultur Diskriminierung oder Ausgrenzung erfahren? Wie bist du damit umgegangen?

Gianni: Nicht wirklich.

Karma: Ich habe keine direkte Diskriminierung erfahren. Jedoch haben mir manche älteren Leute innerhalb der Szene öfter ein Gefühl von Unerwünschtheit oder Belanglosigkeit vermittelt, ohne es direkt auszusprechen. Über die Frage meiner Geschlechtszugehörigkeit herrschte bei manchen Menschen Verwirrung und gelegentlich Abneigung, was mich wiederum stark verunsichert hat. Das ist jedoch meine subjektive Wahrnehmung von damals. Ich habe versucht, mir diese Reaktionen nicht allzu sehr zu Herzen zu nehmen. Meist hat das Gespräch mit Freunden über solche Situationen geholfen oder zu meditieren. Eine gewisse Zurückhaltung ist jedoch geblieben. Das heißt, ich überlege mir genau, wann und wo ich mich wem wie zeige.

Lisa: Nein, im Gegenteil. Innerhalb der Subkultur wurde ich so akzeptiert, wie ich war. Die Ausgrenzung sowie Diskriminierung und Mobbing habe ich in der Schule erlebt, wo ich die Einzige war, die dieser Subkultur angehörte.

Martin: Da ich inzwischen Mitte 30 bin und meine Jugend damit schon etwas weiter entfernt liegt, muss ich eingestehen, dass ich definitiv selbst auch Teil von ausgrenzendem und diskriminierendem Verhalten war. Beides sind Vokabeln, die in der Zeit meines Heranwachsens einfach noch nicht denselben gesellschaftlichen Stellenwert erlangt hatten wie heute. Das bedeutet auch, dass ich über die Jahre hinweg lernen musste, mein Verhalten zu reflektieren und diskriminierende sowie ausgrenzende Mechanismen zu identifizieren und auszumerzen. Dies hat allerdings auch dazu geführt, dass ich in heutigen Subkulturen, die sich eben jene Reflexion groß auf die Fahne schreiben, ausgrenzendes Verhalten erkenne.

Mit welchen Worten würdest du deine Jugend beschreiben?

Gianni: Manchmal einsam, manchmal wild und exzentrisch.

Karma: Richtungslos, missverstanden, wütend, illegal.

Lisa: Durchwachsen. Zu Beginn war es tatsächlich schwierig, da ich durch die Trennung meiner Eltern aus meinem Freundeskreis gerissen wurde und am neuen Wohnort nicht wirklich Anschluss gefunden habe. Mit dem Eintritt in die Subkultur wendete sich das Blatt, und ich habe viele Freundschaften geknüpft, die bis heute Bestand haben.

Emily: Durchzecht, dolle und intensiv.

Martin: Ganz klar: unbedarft und über jeden Zweifel erhaben.

Welche Rolle spielt Musik in deiner Verbindung zur Subkultur?

Gianni: Eine ziemlich große.

Karma: Die Hauptrolle, weil Musik die Kunstform ist, der ich am verbundensten bin und die ich am intensivsten erfahren kann. Für mich können so Gefühle wiedergegeben oder auch verarbeitet werden, für die es keine Worte gibt.

Lisa: Eine sehr große, wenn nicht sogar die größte.

Emily: Musik war und ist für mich ein wichtiges Ausdrucksmittel innerhalb der Subkultur und verbindet die Menschen innerhalb dieser Szene. Konzerte, Festivals und Freunde, die eigene Mukke produzierenoder Konzerte veranstalten sind zentrale Elemente. Subkultur wäre ohne ihre Musik nicht dasselbe.

Martin: Eine extrem große, da ich der Popkultur zu weiten Teilen nichts abgewinnen kann.

Gibt es bestimmte KünstlerInnen oder Bands aus deiner Jugendzeit, die für dich eine besondere Bedeutung haben?

Gianni: Künstler wie Crystal Castles und Crim3s haben für mich eine besondere Bedeutung, auch wenn ich dem männlichen Part von Crystal Castles inzwischen kritisch gegenüberstehe.

Karma: Viele, allerdings aus vielen verschiedenen Genres: Korn, Deftones, Nirvana, Jimi Hendrix, Joe Satriani, Steve Vai, Björk.

Lisa: Den wohl größten Einfluss hatten damals The 69 Eyes auf mich.

Emily: Bands aus dem Freundeskreis und Waving The Guns.

Martin: Die Misfits und die Ärzte würden mir sofort in den Sinn kommen, aber es gibt natürlich auch noch hunderte weitere Einflüsse.

War es dir wichtig deine Zugehörigkeit zu einer Subkultur auch optisch nach außen zu tragen?

Gianni: Ja, aber auch deshalb, weil ich ein großes Interesse an Mode als solche habe.

Karma: 6,5/10

Lisa: Früher war es mir wichtig, dass andere mich auch optisch als szeneangehörig erkannten. Außerdem war es natürlich auch Provokation.

Emily: Natürlich passt man sich seinen Kreisen an. Gerade als Jugendliche ist es einem wichtig, bei den anderen Anklang zu finden.

Martin: Jein, denn es war mir auch wichtig, mich innerhalb meiner subkulturellen Freundeskreise abzugrenzen und auch dort einen gewissen Individualismus zu zelebrieren.

Haben durch die Subkultur politische Themen eine Rolle in deinem Leben gespielt?

Gianni: Ja, häufig verbunden mit linker Politik, insbesondere dem Antifaschismus.

Karma: Ja.

Lisa: Politische Themen und Bildung fanden größtenteils außerhalb der Subkultur statt.

Emily: Definitiv. Subkultur hat mich politisiert und mich größtenteils politisch geprägt und gebildet.

Martin: Tatsächlich bin ich überhaupt erst durch die Subkultur in Berührung mit politischer Theorie und neuen Denkansätzen gekommen. Das kann natürlich je nach Subkultur, in der sich heranwachsende wiederfinden, sowohl positive als auch negative Konsequenzen haben.

Gibt es bestimmte Werte, die für dich unerlässlich sind in deiner Subkultur?

Gianni: Keine -ismen.

Karma: Toleranz, Inklusion und soziale Gleichberechtigung.

Lisa: Für mich persönlich waren gegenseitiger Respekt und Toleranz, unabhängig von Geschlecht, Alter, Hautfarbe oder äußerlicher Erscheinung, immer wichtig.

Hat sich deine Sichtweise auf die Welt durch deine Erfahrungen in der Subkultur verändert? Wenn ja, wie?

Gianni: Vielleicht bin ich dadurch noch (welt-)offener geworden.

Karma: Sicherlich haben mich meine subkulturellen Erfahrungen geprägt, insbesondere in Bezug auf Themen wie Identitätsfindung, soziale (Un-)Gerechtigkeit, Kapitalismus, Klimakrise und den Umgang mit Drogen.

Lisa: Ich würde sagen, dass sich meine Sichtweise auf die Welt erst durch die Subkultur so entwickelt hat, wie sie heute ist, jedoch weniger im politischen Sinne.

Martin: Ja, weil allgemein anerkannte Narrative hinterfragt wurden, und ich diese Denkweise auch in verschiedene Lebensbereiche übernommen habe.

Hat Teil einer Subkultur zu sein heute eine andere Bedeutung für dich als in deiner Jugend?

Gianni: Nicht wirklich.

Karma: Es hat immer noch Bedeutung, aber vielleicht einen anderen Stellenwert

Lisa: Ja, früher war es ein großer Faktor, über den ich mich identifiziert habe. Mittlerweile spielt es für mich keine Rolle mehr, ob andere Menschen mir ansehen können, zu welcher Subkultur ich gehöre oder ob ich mich überhaupt einer zugehörig fühle.

Emily: Subkultur ist für mich nach wie vor ein Ausgleich. Viele meiner Freunde organisieren mittlerweile eigene Veranstaltungen, werden für das Bemalen von Fassaden bezahlt oder haben Gigs und Auftritte. Sie haben sich ein Leben innerhalb ihrer Subkultur aufgebaut. Andere, wie ich, nutzen ihre freien Wochenenden, um sich dort sozial zu entfalten.

Martin: Ich betrachte alles wesentlich differenzierter und fühle mich nirgendwo zu 100 % zugehörig, was in der Jugend deutlich einfacher war.

Gibt es Dinge, die innerhalb der Subkultur normalisiert waren, welche du heute kritisch siehst?

Gianni: Der Drogenkonsum.

Karma: Eigentlich nicht.

Lisa: Der Drogenkonsum: In meinem engen Freundeskreis wurden glücklicherweise nie harte Drogen konsumiert, im weiteren Bekanntenkreis jedoch schon. Es wäre leicht gewesen, an die Substanzen zu gelangen, selbst als Minderjährige. Dennoch denke ich, dass der Konsum im Vergleich zu anderen Subkulturen wesentlich geringer ist.

Emily: Safe! Drogenkonsum jeglicher Art, obwohl man minderjährig ist, ist echt uncool.

Bist du froh über die Erfahrung Teil einer Subkultur zu sein?

Gianni: Ja!

Karma: Ja.

Lisa: Definitiv. Sie hat mich mit zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Langjährige Freundschaften und schöne Erinnerungen sind entstanden. Ich bin jedoch auch neugierig, wie es in anderen Subkulturen so war, und bereue ein wenig, dort keine Erfahrungen gemacht zu haben.

Martin: Ich möchte sie nicht mehr missen, weil sie mich zu einem vielschichtigeren Wesen gemacht haben, als ich es in der Mainstream-Popkultur hätte werden können.

Was würdest du deinem Jüngeren ich, welches die Subkultur grade für sich entdeckt, gerne sagen?

Gianni: Vermutlich, dass das der richtige Weg ist und du noch lange auf ähnlichen Wegen gehen wirst.

Karma: Keep the fire burning. (Lern richtig Gitarre, Punk!)

Lisa: Zugehörigkeit ist wichtig, besonders in der Pubertät, aber es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Lege dich nicht fest, sondern probiere dich aus. Nimm das mit, was dir nützlich ist, und halte dich von dem fern, was dir nicht guttut.

Emily: Pass auf dich auf, aber nimm alles mit!

Martin: Think twice, buddy. We are all wrong.

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