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Braucht es im Jahr 2025 denn noch Feminismus? 

Ich bin Leyla. Ich bin gerade mal 17 Jahre alt. Ich habe mein ganzes Leben noch vor mir, jedenfalls wünsche ich mir das. In der Welt, in der wir leben, musst du besonders als Frau auf alles gefasst sein. Jede weibliche oder weiblich präsentierende Person, die ich kenne, wurde schonmal sexuell belästigt. Egal, ob es sich um das sogenannte Cat Calling oder Nötigung handelt – jede von uns hat eine Geschichte zu erzählen.  

Zurzeit werde ich immer häufiger mit „Antifeminismus“ konfrontiert, leider keine Überraschung in unserer Gesellschaft des politischen Versagens und der Enttäuschung. Ehrlich schockierend sind aber Frauen, die mit auf diesen Zug aufspringen.  

Fangen wir von vorne an 

Die erste Welle:  

Im 19. Jahrhundert kämpften Bürger*innen für ihre grundlegenden Rechte, insbesondere das Frauenwahlrecht und die Möglichkeit zur Erwerbsarbeit und Bildung für Frauen. Durch den Nationalsozialismus gab es aber riesige Rückschritte, denn die Nationalsozialisten schränkten Frauenrechte stark ein und verboten Frauenorganisationen. 

Die zweite Welle:  

In den 1960er-Jahren standen Schwangerschaftsabbrüche und sexuelle Selbstbestimmung im Vordergrund. Vermehrt ging es um Bekämpfung von Ungleichheiten, die oft als „Privatangelegenheit“ galten, wie häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung und ungleiche Verteilung der Hausarbeit.  

Die dritte Welle:  

In den 2000er-Jahren lag der Fokus auf der Vielfalt der Erfahrungen von Frauen und der Kritik an gesellschaftlichen Machtstrukturen, die nicht nur auf dem Geschlecht beruhen. Die zweite Welle wurde aufgrund der Dominanz der oftmals weißen heterosexuellen Frauen stark kritisiert. 

Die vierte Welle:  

Heute werden Frauen mit Hilfe von Netzwerken und digitalen Werkzeugen gestärkt. Ein sehr starker Fokus liegt vor allem auf dem Thema der Intersektionalität, d.h. es spielen vermehrt queere Personen und People of Color eine Rolle. 

Zurück zum ursprünglichen Thema: Wie kann es sein, dass ausgerechnet Frauen antifeministisch sind? 

Einige Frauen, die davon überzeugt sind, längst befreit von Unrecht und Ungleichheiten zu sein, spiegeln das Machtverhältnis zwischen Privileg und Patriachat wider. Aussagen wie „Feminismus braucht doch heute keiner mehr“ unterstreichen nur die privilegierte Realitätsverleugnung unserer Gesellschaft. In anderen Worten: Was ich nicht sehe, das auch nicht geschehe. Als weiße cis Frau mit einer Festanstellung lässt sich nämlich leicht behaupten, dass es genderspezifische Diskriminierung nicht gibt, weshalb wir keinen Feminismus MEHR brauchen. Als Begründung das Aufrechterhalten des bereits Erreichten anzuführen, ist natürlich völliger Unsinn. Wenn es niemanden gäbe, der sich für Frauen einsetzen würde, keine Demonstrationen, niemanden, der sich wehrt, würden wir ohne große Mühe unseren rechtmäßigen Platz als “Brutmaschine” einnehmen.  

 „Ich bin eine Frau und keine Feministin, ich möchte (…)“  

Als eine „Antifeministin“ einen eigenen Willen zu haben und den dann “mutig” öffentlich zu präsentieren, ist tatsächlich ein ziemlich interessanter Widerspruch. Denken wir uns den Satz nochmal um: Wie müsste er in einer Welt ohne Feminismus formuliert sein? Ach, Leute! Da fällt mir ein: Wir hätten gar nicht erst die Möglichkeit, unsere Meinung frei zu äußern und breit im Internet zu präsentieren! 

Eine Welt ohne Feminismus ist keine Welt, in der du dich bloß fürchtest, nachts rauszugehen – du bist kein eigenes Individuum! Deine bloße Existenz gilt als Statussymbol deines Mannes. Deine einzige Aufgabe ist es, schön auszusehen und das Wohlbefinden des Mannes zu pflegen, den du nicht einmal abweisen dürftest. Ob du Lust hast oder nicht, ist egal – seine Bedürfnisse stehen nicht nur metaphorisch über deinen. Brauch’ bloß nicht zu lang, um dich auszuziehen! Na, los auf die Knie! 

Statistiken 

12.641 Frauen wurden im letzten Jahr polizeilich erfasst Opfer von schwerwiegenden sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung. 

In solch einer Welt will man nicht leben, oder? In dieser Welt musst du als Frau hoffen, dass dein Ehegatte keinen schlechten Arbeitstag hatte, weil du genau weißt, dass er dann seinen Frust an dir und deinen Kindern ablassen wird. Das ist unsere Realität und unser Alltag. 

265.942 Personen waren letztes Jahr von häuslicher Gewalt betroffen, davon waren 70,4 Prozent Frauen. Und trotzdem, gibt es Frauen, die sich für männliche Bestätigung in die Öffentlichkeit stellen und behaupten, die Ungleichheit sei längst beseitigt. Aber offen eine solche Meinung zu vertreten, trägt ja vielleicht dazu bei, Sympathie aufzubauen, damit dir dein Chef die Gehaltserhöhung gibt, die du dir schon vor Jahren verdient hast, und nicht deinem Arbeitskollegen, den du eingearbeitet hast. 

Durchschnittlich verdienen Frauen 4,10€ die Stunde weniger als Männer. Das liegt vornehmlich daran, dass frauendominierte Berufe im Gegensatz zu typisch männlichen Berufen deutlich schlechter bezahlt werden. Frauen sind auch in Führungsrollen sehr unterrepräsentiert. Eine ehrlich verdiente Gehaltserhöhung ist trotz harter Arbeit auch kein Regelfall, was hauptsächlich an unseren ach so geliebten gesellschaftlichen Rollenverteilungen und Vorurteilen liegt. 

Viele verstehen nicht, dass es sich beim Feminismus vor allem um das Recht auf freie Entscheidung einer jeden Frau handelt. Wenn sich also eine Frau dazu entschließt, eine Hausfrau zu werden und Kinder zu kriegen, ist das wunderbar, sofern sie nicht deklariert, dass dies allgemein gelten sollte. Die meisten Frauen, die sich selbst gegen den Feminismus aussprechen, tun das auch meist aus Unwissenheit.  

Ich habe mein gesamtes Leben vor mir und habe Angst. Ich will in keiner Welt leben, in der ich nicht anziehen kann, was ich will. Ich will in keiner Welt leben, in der ich mich fürchten muss, meine Meinung zu äußern. Ich will leben, ich will lachen, ich will lieben. In meinem Leben fehlt kein Mann, der meine Geschichte umschreibt, nachdem ich nur noch bin, was er aus mir machte.  

Ich bin Leyla, ich habe mein gesamtes Leben vor mir und ich schreibe meine Geschichte selbst! 

Leyla Amira Winkler 

Quellen: 

https://www.boell.de/de/2018/07/03/von-welle-zu-welle

https://pinkstinks.de/koennen-frauen-antifeministinnen-sein/

https://www.bka.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/Kurzmeldungen/251121_BLB_HaeuslicheGewalt2024.html

https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-GenderPayGap/_inhalt.html

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1563186/umfrage/opfer-von-vergewaltigung-und-sexueller-noetigung-in-deutschland-nach-geschlecht

Bild: Leyla Amira Winkler

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