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Ist der Mensch das wahre Monster? 

Ein Meinungsartikel 

Wir alle lieben Geschichten über Monster, über Helden und über fantastische Schöpfungen, die die Grenzen des Möglichen sprengen. Doch was, wenn die eigentliche Geschichte gar nicht von ihnen handelt? Was, wenn sie von uns handelt, von jenen, die Leben erschaffen, es beurteilen und es manchmal einfach im Dunkel zurücklassen?

Heute wollen wir dieser Frage nachgehen – mit Frankenstein, BlackWarGreymon und der Realität als Spiegel. 

Immer wieder kehrt diese Frage zurück, flüsternd, verfolgend, unausweichlich: 

Denken Menschen jemals über die Konsequenzen nach, bevor sie erschaffen und Gott spielen? 

Wer ist das wahre Monster und ist das Monster wirklich das Monster? Ist es ein durch Narben verzerrtes Gesicht? Ein im Labor zusammengesetzter Körper? Oder ist es etwas Leiseres, Menschlicheres: ein Blick, der sich weigert zu verstehen, eine Hand, die achtlos erschafft, ein Herz, das kalt bleibt gegenüber dem Leben, das es formt? 

Nehmen wir Mary Shelleys Doktor Victor Frankenstein, den modernen Prometheus. Die Kreatur, die er erschafft, ist nur deshalb erschreckend, weil die Welt sich vor ihr fürchtet. Ihre Existenz ist nicht die Tragödie, die Tragödie ist Victor Frankenstein – der Schöpfer, der sein Werk verstößt und es allein lässt, verloren in Angst, Verwirrung und Sehnsucht. 

Frankensteins Kreatur hat nie darum gebeten, geboren zu werden, und doch wird sie verurteilt, weil sie existiert und weil sie nicht „normal“ sein kann. 

Sie wurde zusammengenäht von den Händen eines selbsternannten Gottes, der sich abwendet. 

Frankensteins Kreatur wird ins Leben geschickt, aber nicht in die Liebe. 

Die Welt verkrampft sich beim Anblick ihres Gesichts, ihres Körpers, ihres bloßen Seins und niemand fragt, was in ihrem Herzen schmerzt. 

Man nennt sie Monster, Ungeheuer, Abscheulichkeit. 

Als wäre sie daran schuld. Als hätte sie um diese Gestalt oder um diese Welt gebeten. 

Menschen sind blind für das Leid, das sie nicht selbst empfinden, und taub für Stimmen, die um Verständnis bitten. 

Das Schrecklichste an Frankensteins Kreatur ist nicht ihre Gestalt. Es ist ihre Einsamkeit. 

Und dann gibt es ein Wesen aus einer völlig anderen Welt: BlackWarGreymon

Ein Digimon, geschaffen zum Kampf, geformt durch die Wünsche und Erwartungen menschlicher Partner. Er soll mächtig sein, furchtlos, heldenhaft und trägt doch die Last einer Bestimmung, die er nie wollte. Stell dir vor, du wirst erschaffen, damit man dich als Waffe benutzt. Kein eigener Wille. Ein Zweck: Zerstörung. 

Doch dann entsteht etwas Unerwartetes: Er erhält eine Seele. Gefühle. Fragen. Schmerz. 

Er zerstört zunächst alles, weil es das Einzige ist, was er kennt. Doch irgendwann löst er sich von seinen Schöpfern, um nach einem Sinn zu suchen. 

Woher kommt seine Seele? Ist sie Einbildung? 

Man sagt ihm: Gefühle können keine Einbildung sein. Warum ist er, wie er ist? Was tut er in dieser Welt? Was ist sein Zweck? 

Er soll kämpfen. 

Doch seine Seele hindert ihn daran. 

Auch er stellt dieselbe Frage wie Frankensteins Kreatur: Kann etwas, das von Menschen erschaffen wurde, jemals ganz sich selbst gehören? 

Einer ist aus Fleisch, der andere aus Daten – beide existieren, weil jemand Macht, Kontrolle oder Erlösung wollte. Beide werden gefürchtet. Beide missverstanden. Beide verurteilt. 

Ironisch, oder? Menschen wollen Schöpfer sein, aber keine Verantwortung tragen. 

Wir bringen Leben in die Welt durch Wissenschaft, Maschinen, Geschichten, oder simple Entscheidungen und sind dann überrascht, wenn dieses Leben Emotionen, Bedürfnisse und Schmerz entwickelt. Wir nennen es undankbar, gefährlich, überempfindlich. Wir erwarten Gehorsam, Stille, Dankbarkeit. Und wenn es rebelliert, nennen wir es Monster. 

Doch Monster werden nicht geboren. 

Monster werden gemacht. 

Durch Vernachlässigung. 

Durch Angst. 

Durch die Weigerung, hinter die Oberfläche zu sehen. 

Der Mensch sieht oft nur etwas, das er kontrollieren will, nicht etwas, das er verstehen sollte. 

Vielleicht findet Frankensteins Kreatur deshalb einen Moment des Friedens bei einer Frau, die sie nicht fürchtet, sondern versucht, ihr Herz zu erkennen. Vielleicht sind sogar digitale Helden wie WarGreymon so geschrieben, dass ihre Rüstung Risse hat, Risse, durch die Zweifel, Verletzlichkeit und Sehnsucht hindurchscheinen. 

Ich denke an die Hände, die Leben erschaffen, und die Hände, die sich zurückziehen. 

An das Schweigen derer, die gehen. 

An die Leichtigkeit, mit der Menschen Dinge in die Welt setzen und sie dann verurteilen, sobald sie ihnen zu ähnlich werden. 

Denn ein Monster ist nichts anderes als das Spiegelbild seines Schöpfers. 

Wenn wir mit Grausamkeit erschaffen, entsteht Grausamkeit. 

Wenn wir mit Angst erschaffen, entsteht Angst. 

Wenn wir ohne Liebe erschaffen, sollten wir uns nicht wundern, wenn das Ergebnis nicht lieben kann. 

Vielleicht ist die Warnung in all diesen Geschichten nicht vor Wissenschaft oder Technik. 

Vielleicht ist sie vor uns selbst. 

Denn dieses Muster gibt es nicht nur in Büchern und Filmen. 

Im echten Leben werden zu viele Kinder geboren, ohne dass jemand das Gewicht dieser Entscheidung versteht.

Nicht aus Liebe, sondern aus Erwartung, Druck, Unachtsamkeit. Und wenn Verantwortung unbequem wird, ziehen sich manche Eltern zurück. Sie werden kalt. Distanz entsteht. Narben bleiben Narben, tiefer als jede Naht in Frankensteins Kreatur. 

Es gibt Kinder, die wie verlassene Experimente aufwachsen: 

Selbst erziehen. 

Selbst trösten. 

Selbst überleben. 

Sie werden beschuldigt für ihre Verwirrung, bestraft für Wunden, die ihnen zugefügt wurden. Und die Gesellschaft? Sie sieht sie an wie Monster aus Geschichten ohne Mitgefühl, ohne Kontext, ohne Bereitschaft zuzuhören. 

Vernachlässigung ist kein seltenes Monster. 

Sie sitzt an Esstischen. 

Sie schläft in Kinderzimmern. 

Sie wächst in Häusern, die nach außen hin perfekt wirken. 

Es ist dieselbe Geschichte, die sich durch die Zeit zieht: 

Menschen erschaffen Leben und verweigern ihm die Nahrung, die es braucht. 

Und wenn dieses Leben dann bricht, kämpft oder weint, flüstert man „Monster“; niemals aber fragt man nach den Händen, die es formten. 

Auch Frauen kennen dieses Muster. 

Seit Jahrhunderten gleich an Wert, gleich an Fleisch und Blut wurden sie oft behandelt wie Besitz, wie Werke, die man bewundert, kontrolliert und bewertet. Nicht wie Menschen mit Herz. 

Männer und Gesellschaft sagen ihnen, wie sie sein sollen, was sie ertragen müssen und was sie verstecken sollen, und entziehen sich zugleich der Verantwortung für das Leid, das sie verursachen. 

Das ist die gleiche Logik, die in Geschichten Monster erschafft: Angst vor dem Unbekannten wird zu Strafe, Stärke wird übersehen, Schwäche angenommen, wo eigentlich Mut wohnt. 

Vielleicht verstehen Frauen Monster deshalb besser als Männer. 

Sie sehen das Ungerechte sofort. 

Sie erkennen Schmerz hinter Masken, Sehnsucht hinter Augen, Mut hinter Wunden. 

Sie sehen das Herz, wo andere die Bedrohung sehen. 

Und vielleicht ist das die eigentliche Tragödie, die sich durch Geschichten, Welten und Jahrhunderte zieht: Wir fürchten Monster, aber wir fürchten selten jene Teile von uns selbst, die sie erschaffen. 

Ava Akbar Pour und Ebru Yazlak 

Quellen:

https://wikimon.net/Black_War_Greymon

https://medium.com/@zarkatibatbaqal/frankenstein-a-deep-dive-into-the-human-psyche-eec4af7e323b

Bilder:

Ava Akbar Pour und Ebru Yazlak 

https://pixabay.com/de/photos/unheimlich-furcht-stengel-1648250

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